Einordnung nach dem Schema von Steinhausen unter psychische Störungen mit körperlicher Symptomatik:
Krankheiten mit Organveränderung
Dissoziative Störungen
Somatoforme Störungen
Essstörungen
Enuresis und funktionelle Harninkontinenz
Enkopresis
Schlafstörungen
Regulationsstörungen im Säuglingsalter
Tabuthema in den meisten Familien
Meist wird versucht Symptomatik geheim zu halten
Bei Bekanntwerden droht Hänselei und Stigmatisierung
Häufigste Störung des Kindesalters
Unwillkürlicher Harnabgang ab 5 Jahren
Mindestens 3 Monate
Mindestens 2 Mal pro Woche (<7 LJ) bzw. 1 Mal pro Woche (>7 LJ)
Ausschlusskriterien → Körperliche Erkrankungen (z.B. Harnwegsinfektion, neurologische Inkontinenz, etc.)
Nocturna, Diurna, Nocturna et diurna
Primär, Sekundär (im DSM-IV)
In den Klassifikationssystemen (DSM-IV und ICD-10) wird sowohl ein Einnässen tagsüber, als auch nachts als Störung verstanden. Es kann jedoch nach neuem Kenntnisstand davon ausgegangen werden, dass eine Inkontinenz am Tag immer mit einer körperlichen Problematik einhergeht.
Enuresis nocturna bezeichnet ein nächtliches Einnässen:
Primäre Enuresis nocturna → Ab 5 Jahren, nach weniger als 6 Monaten Rückfall
Sekundäre Enuresis nocturna → Ab 5 Jahren, nach mehr als 6 Monaten Rückfall
Monosymptomatische Enuresis nocturna → Tagsüber keine Miktionsauffälligkeit
Nicht monosymptomatische Enuresis nocturna → Tagsüber auch Symptome: Drang, Miktionsaufschub, etc. (aber ohne Einnässen)
⇒ Nicht monosymptomatische Enuresis nocturna ist Enuresis nocturna mit Blasenfunktionsstörung
Bei funktioneller Harninkontinenz liegt fast immer eine periphere Störung der Blasenfunktion vor.
Idiopathische Dranginkontinenz
Harninkontinenz bei Miktionsaufschub
Destrusor-Sphinkter-Dyskoordination
Seltene Formen → z.B. Lachinkontinenz, Stressinkontinenz, etc.
10% der 7 Jährigen nässt nachts ein
Spontanremission 13-15% pro Jahr
Primäre Formen häufiger als sekundäre Formen
60-70% werden unter Therapie trocken
1,5 – 2 Mal mehr Jungen als Mädchen
Genetisch bedingte Reifestörungen
Verzögertes Erlenen eines bedingten Reflexes
Zusammenhänge zu psychosozialen Stressoren
Bei Enuresis Nocturna liegt eine genetisch bedingte Reifestörung des zentralen Nervensystems vor. Konkret handelt es sich um eine Regulationsstörung im Hirnstamm.
60-80% der Kinder haben Verwandte mit ähnlicher Symptomatik
77% Risiko, wenn beide Eltern eingenässt haben
44% Risiko, wenn ein Elternteil eingenässt hat
Eineiige Zwillinge höhere Konkordanz (68%), als zweieiige Zwillinge (36%)
Drei wichtige Pathomechanismen der monosymptomatischen Enuresis nocturna sind:
Erhöhte nächtliche Urinbildung → Bei einem Teil der Kinder
Fehlende Erweckbarkeit bei voller Blase → Störung des Arousals
Fehlende Unterdrückung des Entleerungsreflexes → Inhibition des Miktionsreflexes
Das verzögerte Erlenen eines bedingten Reflexes geht auf eine mangelnde Konditionierung der Blasenfunktion zurück.
Psychosoziale Stressoren kommen nur bei sekundärer Enuresis nocturna vor. Ein Rückfall kann durch belastende Lebensereignisse ausgelöst werden, sofern eine entsprechende Disposition vorliegt.
Idiopathische Dranginkontinenz ist eine genetisch bedingte Störung der Füllungsphase. Bei geringen Mengen Kontraktion des Hohlmuskels, welcher zum Einnässen führt.
Harninkontinenz bei Miktionsaufschub ist ein erlerntes Verhalten. Dabei schieben Kinder die Miktion (z.B. beim Spielen) so lange auf, bis es zum Einnässen kommt.
Bei der Destrusor-Sphinkter-Dyskoordination liegt (1) erlerntes Verhalten oder eine (2) Reifestörung vor. Es kommt statt einer Relaxation während der Blasenentleerung zu einer Anspannung des Beckenbodens.
Wie oft? Wie viel?
Seit wann?
Tagsüber/Nachts?
Wie lange war das Kind trocken?
Wie oft geht es tagsüber auf die Toilette?
Schläft das Kind tief? Lässt es sich leicht wecken?
Schiebt das Kind die Miktion auf?
etc.
Im Vordergrund steht:
Außerdem sollte eine Therapie (1) symptomorientiert und (2) ambulant sein:
Symptomorientiert
Ambulant
Außerdem sollte bei multiplen Ausscheidungsstörungen die Behandlungsreihenfolge beachtet werden:
Einkoten
Einnässen tagsüber
Einnässen nachts
Bei Enuresis nocturna sind verhaltenstherapeutische Ansätze am wirksamsten. Primäre und Sekundäre Enuresis nocturna werden gleich behandelt.
Die Therapie umfasst:
Baseline → Beobachtung/Kalenderführung
Apparative Verhaltenstherapie
Arousal-Training
Kombination mit Medikamenten
Eine Baseline mit Hilfe von (1) Beobachtung und einer (2) Kalenderführung wird zunächst über 4-8 Wochen erfasst. Aspekte sind:
⇒ Beobachtung/Kalenderführung reicht bereits bei 15-20% der Kinder als Therapiemethode aus!
Bei der apparativen Verhaltenstherapie werden (1) tragbarer Geräte („Klingelhose“) oder (2) Bettgeräte („Klingelmatte“) verwendet.
Kind soll nach dem Wecken Blase im Bad entleeren
Einsetzen der Geräte jede Nacht
Therapie auch nach Erfolg fortsetzen → Bis zu 16 Wochen
Dokumentation des Therapieerfolgs durch Eltern
Therapieziel: Vollständige Trockenheit
⇒ Kosten werden meist von Krankenkassen übernommen
⇒ Operante Verstärkung durch Tokens (z.B. Aufkleber)
Desmopressin → Wirkung auf nächtliche Urinbildung, Reduktion des nächtlichen Einnässens der 70% der Patienten, Gut für kurzfristige Trockenheit
Trizyklische Antidepressiva → Verhindert Harnausscheidung, Mehr Nebenwirkungen als Desmopressin
Bei ideopathischer Dranginkontinenz wird meist ein (1) kognitiv-verhaltenstherapeutisches Vorgehen oder eine (2) Pharmakotherapie mit Oxybutinin gewählt.
Ziel des kognitiv-verhaltenstherapeutisches Vorgehens ist die zentrale Kontrolle der Drangsymptome.
Bei Harndrang sofort auf Toilette gehen
Einsetzen eines „Fähnchenplans“ → Miktion ohne Einnässen gibt „Fähnchen“, Einnässepisoden gibt „Wolken“
Oxybutinin stellt die Blase durch eine Entspannung des Blasenhohlmuskels ruhig .
Bei Harninkontinenz mit Miktionsaufschub wird ein symptomorientiertes verhaltenstherapeutisches Vorgehen gewählt.
⇒ Wegen hoher psychiatrischer Komobidität oft weitere Maßnahmen nötig
Bei der Destruktor-Sphinkter-Dyskoordination wird meist ein Biofeedbacktraining angewendet.
Ableitung der Muskelaktivität am Beckenboden
Rückmeldung akustischer Signale
Optische Darstellung der Harnflusskurve (Computerbildschirm)
⇒ Ziel: Entspanntes Entleeren der Blase in einem Fluss
Wiederholtes unwillkürliches Absetzen von Stuhl an nicht dafür vorgesehenen Stellen
Alter ab 4 Jahre
Dauer 3 Monate
Ausschlusskriterien → Ursache nicht Substanz, Keine medizinische Grunderkrankung
Mit Obstipation (Verstopfung) und Überlaufkontinenz
Ohne Obstipation (Verstopfung) und Überlaufkontinenz
Primäre Enkopresis
Sekundäre Enkopresis
Seltene Formen → Toilettenverweigerungssyndrom, Toilettenphobie
Seltener Stuhlgang → Weniger als 3 Mal pro Woche
Große Stuhlmengen
Veränderte Konsistenz
Schmerzhafte Defäktion (Stuhlgang)
Bauchschmerzen
Reduzierter Appetit
Tastbare Kotballen über dem Abdomen (Bauch)
⇒ Verschlechtere Symptome bei Gabe von Laxantien (Entspannend)
⇒ Hohe psychische Komorbidität
Für Wasserlassen Toilette, für Defäktion wird Windel verlangt
Kann Vorläufer für Enkopresis mit Obstipation
Häufig komorbide Störungen → Sozialverhalten (oppositionell-aufsässig)
Die psychische Komorbidität ist bei Enkopresis am höchsten von allen Ausscheidungsstörungen.
Erhöht bei:
Physiologische Faktoren
Psychologische Faktoren
Auslösende Faktoren
Zwanghafte Sauberkeitserziehung → Kontrovers diskutiert, In Fallbeispielen vorhanden, in Studien kaum Zusammenhänge
Unangemessenes Erziehungsverhalten → z.B. Überprotektivität
Intrafamiliäre Beziehungsstörungen
Sozioökonomische Deprivation
Belastungen (intensive emotionale Krise) → Trennungserfahrungen, Übergangsperioden mit neuen Anforderungen
Vermeidung der Stuhlentleerung bei Obstipation → Vermeiden kurzfristiger Schmerzen, langfristig Ausweitung der Symptome
Anamnese
Toilettenprotokoll
Fragebogen
Körperliche Untersuchung
Ultraschall
Uroflowmetrie → Harnflussmessung
Screening für psychische Symptome
Detaillierte kinderpsychiatrische und psychologische Diagnostik
Verhaltenstherapeutisches Toilettentraining und Laxantien („Entspannende“ Substanzen)
Desimpaktion mit phosphathaltigen Klistieren
Oral: Polyethylenglykol oder Lazulose
Symptomorientiertes Vorgehen
Nach dem Essen entspannt auf der Toilette sitzen → Entlerungsreflex nach Mahlzeit
Fußkontakt zum Boden
Kinder bekommen Freiheiten → z.B. Portable Spielekonsolen
Dokumentation des Verlaufs → Enkopresisprotokolle
Einsatz von Verstärkerplänen (Token)
Erfolge meist relativ schnell
Viele Familien brechen Training jedoch zu früh ab
Training 6-12 Monate nach Sauberkeit fortführen
Auch andere Formen der Psychotherapie sind möglich:
⇒ Insbesondere bei Komorbidität